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Lektüren – eine Schriftenreihe für die Kessler-Gesellschaft: 18.Dezember 2016

Wir freuen uns über das erste Heft der Lektüren, das in den Tagen vor Weihnachten 2016 erscheint. Näheres erklärt das Vorwort zu der neuen Schriftenreihe:

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Sein Leben lang hat sich Harry Graf Kessler bemüht, Gedanken, Literatur und Kunst durch schöne Druckerzeugnisse in die Welt zu bringen – zuerst als Redakteur einer Schülerzeitung in Ascot, später als Gründer der Cranach Presse, mit der er vielfach ausgezeichnete, prachtvolle Bücher herstellen ließ. An diese Arbeit möchten wir im bescheidenen Rahmen mit einer Schriftenreihe anknüpfen, die wir schlicht „Lektüren“ nennen und die von nun an in unregelmäßigen Abständen vieles von dem, was in und rund um unsere Gesellschaft gedacht, diskutiert und geschrieben wird, versammeln soll.

Das Jahr 2016 war bei der Produktion von Gedankengut zu Kessler besonders ertragreich, denn die wunderbare Ausstellung „Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne“, kuratiert von Christoph Stölzl für die Stiftung Brandenburger Tor im Max Liebermann Haus am Pariser Platz fand große Beachtung weit über Berlin hinaus. Sie forderte zu einer neuerlichen Auseinandersetzung mit der Person und dem Wirken Harry Graf Kesslers heraus.

Wir haben uns entschieden, die drei Vorträge aus dem Begleitprogramm der Ausstellung in diesem ersten Band unserer Schriftenreihe abzudrucken – nicht nur weil diese Ausstellung der Startschuss für eine breitere Kessler-Rezeption war, sondern auch weil wir Kooperationen mit anderen Institutionen zum Programm machen wollen, ganz im Sinne Kesslers, der ein Meister der Vernetzung war. Außerdem kreisen diese drei Vorträge um zentrale Themen Kesslers; sie spannen das breite Panorama seiner Interessen auf. Kesslers Bildungsraum reichte von der Antike bis in seine unmittelbare Gegenwart. Er bewegte sich souverän zwischen Jahrhunderten und Jahrtausenden, ohne jemals den Bezug zur eigenen Zeit zu verlieren. Die Skulpturen von Aristide Maillol waren ihm ein Garant, dass Gegenwart und Vergangenheit unmittelbar miteinander verbunden sind, immer in einem lebendigen Spannungsverhältnis stehen. Auch die Wurzeln von Auguste Rodins Skulpturen sah Kessler in der Antike, allerdings auf völlig andere Weise. Claude Keisch geht der Faszination Kesslers für beide Bildhauer nach. Friedrich Nietzsche war der zweite große Fixstern in Kesslers Welt. Er holte den schon kranken Philosophen und sein Archiv nach Weimar und plante mit Henry van de Velde die prächtige Philosophenvilla. Vor allem aber sah er in Nietzsche den Inbegriff des modernen Menschen im Kampf gegen die Nivellierungen der Massenkultur. John Dieter Brinks erforscht dieses spannungsvolle Verhältnis.

Das Thema, das im Moment vielleicht am weitesten in die Gegenwart reicht, sind Kesslers Überlegungen und Aktivitäten zu Nationalgefühl und Europäertum. Kessler war bereits in einer globalisierten Welt zu Hause, und schon er hat den Umschlag von Nationalstolz in Nationalismus am eigenen Leibe erlebt und das Problem der Beschränkung aufs Nationale erkannt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus dem nationalen Monarchisten ein pazifistischer Demokrat, der für einen Völkerbund kämpfte, welcher den Nationalstaat überwinden sollte. Françoise Forster-Hahn widmet sich diesem spannenden und schwierigen Thema, das uns sicher auch in Zukunft noch beschäftigen wird.

Die Moderne, das war ein ehrgeiziges Projekt, von dem wir immer noch zehren, und Kessler war einer ihrer Protagonisten, begeisterungsfähig und kritisch zugleich. Aber die Moderne führte auch zu harten Brüchen im Gewohnten wie wir es ähnlich heute erleben. Beim Lesen von Kesslers Tagebüchern werden überraschende Parallelen sichtbar und es zeigt sich einmal mehr, dass der Blick nach vorne durch den Blick zurück geschärft wird. Harry Graf Kessler hat uns für diese Übung in Form seiner Tagebücher eine fantastische Stoff- und Formelsammlung hinterlassen, die wir nutzen sollten.

Unser Dank gilt der Stiftung Brandenburger Tor und ihrem Vorstand Pascal Decker und Peter-Klaus Schuster; ferner Janet Alvarado, der Ausstellungsleiterin, für die gute, produktive und passionierte Zusammenarbeit – auch bei dieser Publikation. Ebenso danken wir den Autoren, die uns ihre Vortragstexte für den Druck zur Verfügung gestellt haben. Weiterer Dank geht an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach für die freundliche Bereitstellung von Fotografien, ebenso Sven Kuehnhold für ein Foto, Diethelm Kaiser für das gründliche Lektorat und Anja Goetz und Iondesign für Grafik und Gestaltung.

Wir freuen uns auf zukünftige Vorträge, Diskussionen, Begegnungen und neue Erkenntnisse, die ihren Niederschlag in den „Lektüren“ finden sollen.